Zwei widersprüchliche Schöpfungsberichte?

imageVielleicht hast du auch schon beim Lesen der ersten Kapitel der Bibel festgestellt, dass dort zwei Schöpfungsberichte stehen (vgl. 1. Mose 1,1ff. mit 1. Mose 2,4ff.) – zumindest scheint es so. Bibelkritische Theologen sehen Widersprüche zwischen den Berichten und gehen u.a. davon aus, dass unterschiedliche Scheiber zu unterschiedlichen Zeiten diese Berichte geschrieben haben. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein paar Gedanken äußern:

Erstens ist die Auffassung, dass es sich um zwei eigenständige und sich widersprechende Schöpfungsberichte handelt, spekulativ. Es spricht vieles dafür, dass 1. Mose 2 keinen eigenständigen Schöpfungsbericht darstellen soll. Vielmehr führt der Schreiber ein wichtiges, bereits erwähntes Merkmal genauer aus: die Erschaffung des Menschen.[1] Während Kapitel 1 also grob die Erschaffung von Himmel und Erde aufzeigt, hebt Kapitel 2 die Einzelheiten hervor.

Man könnte weiterhin argumentieren, dass man in den Kosmogonien der alten nahöstlichen Zivilisationen „nicht einen einzigen Schöpfungsbericht finde[t], der weder die Erschaffung der Sonne, des Mondes und der Sterne noch der Ozeane erwähnt“.[2] Offensichtlich wird 1. Mose 1 für das folgende Kapitel vorausgesetzt. Gleason Archer stellt fest, dass der Aufbau von 1. Mose 2 in deutlichem Gegensatz steht „zu jedem Schöpfungsbericht, der der vergleichenden Literaturwissenschaft bekannt ist“.[3]

Vernon McGee, ein von mir geschätzter Bibellehrer, erklärt, dass dieses Prinzip zweier Darstellungen zu vergleichen ist mit dem 5. Buch Mose. Dieses Buch ist ebenfalls nicht eine reine Wiederholung von dem Gesetz, sondern enthält interpretative Züge vor dem Hintergrund der Erfahrungen bei der Wüstenwanderung. Ebenso ergänzen sich auch die vier Evangelien.[4]

Ein wichtiges Argument für die Einheit dieser beiden Kapitel ist die Tatsache, dass der Herr Jesus beide als Einheit betrachtet(!). Als er mit den Pharisäern in Matthäus 19 über die Scheidung von Mann und Frau sprach, bezieht er sich in Matthäus 19,4 auf 1. Mose 1,27, während er im folgenden Vers 2. Mose 2,24 zitiert.[5] Der Herr Jesus behandelte die beiden Kapitel also als Einheit und wir tun gut, es ihm gleich zu tun.

Was ist nun mit dem scheinbaren Widerspruch zwischen den beiden Kapiteln hinsichtlich der Pflanzen? In 1. Mose 1 wurden die Pflanzen doch am dritten Schöpfungstag erschaffen, während in 1. Mose 2,5 doch erst nach der Erschaffung Adams von ihnen berichtet wird.

Auch hier müssen wir sehen, dass sich die beiden Kapitel ergänzen. Charles Ryrie erklärt: „Zweitens beziehen sich die Ausdrücke in Vers 5 auf Pflanzen, die der besonderen Pflege durch den Menschen bedürfen, nicht auf die Vegetation überhaupt. Diese Kulturpflanzen wurden entweder nach Adam geschaffen oder konnten sich vor der Erschaffung des Menschen nicht entfalten.“[6] Gerade die konkreten Pflanzen in Kapitel 2 lassen darauf schließen, dass gerade nicht die gesamte Pflanzenwelt gemeint ist.

Wenn ich in der Bibel lese, kann ich immer wieder nur staunen, wie groß unser Gott ist! Auch wenn ich vieles nicht verstehe, darf ich auf ihn vertrauen und seinem Wort Glauben schenken – es ist wohlgeläutert (Psalm 12,7; 18,31), rein und ohne Fehler.

Anmerkung von Daniel A.
Hier finden sich auch noch interessante Fakten zu diesem Thema:
http://www.wort-und-wissen.de/disk/d91/1/d91-1.pdf


[1] vgl. Gleason Archer: New International Encyclopedia of Bible Difficulties (dt.: Schwer zu verstehen?), CLV 2005, S. 81.

[2] ebd., S. 82.

[3] ebd., S. 83.

[4] vgl. Vernon McGee: Thru the Bible, Vol. 1, Thomas Nelson 1981, S. 18.

[5] vgl. Francis Schaeffer: The Complete Works of Francis A. Schaeffer. A Christian Worldview. Volume Two. A Christian View of the Bible As Truth, Crossway Books 1982, S. 26f.

[6] Charles Ryrie: Basic Theology (dt.: Die Bibel verstehen. Das Handbuch systematischer Theologie für jedermann.), CV/CLV 1999, S. 125f.

<< PDF Herunterladen >>